Pünktlich waren am nächsten Morgen alle zur Stelle, um ordentlich zu frühstücken, sich die letzte Müdigkeit aus den Augen zu wischen und Vorbereitungen für die Tageswanderung zu treffen. Thomas hatte die tolle Idee, das Gruppen- foto noch vor dem Abmarsch zu machen, denn schon waren die ersten beiden Ausfälle durch Gehbehinderungen (Anke und Jan) zu beklagen. |
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Gespannt waren alle auf die Auflösung der 1. Andeutung in Martins Wanderaufruf: "Ein Treffen mit einem frühen Hippie auf dessen Anwesen, der schon vor 100 Jahren Jesuslatschen trug, auch ohne Drogen flippig war und Beton als virtuosen Baustoff nutzte." Tatsächlich dauerte es nicht lange und wir fanden die Auflösung des Rätsels auf dem Grundstück von Gustaf Nagel. |
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Der Prophet von Arendsee - Wanderprediger, Naturheilkundige und Sonderling "Als noch einfältiger Junge erzählte ich einst meiner Mutter, dass ich einmal von Ort zu Ort zieh'n und Vorträge halten werde und viel Volk zu mir kommen wird." Als die Hebamme im März 1874 den schreienden Gustaf Nagel über den Wasserzuber schwenkte, ahnte sie nicht, dass sie einen künftigen Apostel an den Beinen hielt. Die Prophezeiungen, die Nagel als Halbwüchsiger seiner Mutter machte, erfüllten sich. Um 1900 war Nagel bereits ein bekannter Wanderprediger, seinen "Stammsitz" hatte er am Arendsee, wo er als "Tempelwächter von Gottes Gnaden" in einem von ihm errichteten Gartenreich lebte. Er war bekennender Vegetarier, beteiligte sich in den zwanziger Jahren mit einer eigenen Partei an den Reichstagswahlen, entwickelte eine eigene Rechtschreibung und kam immer wieder mit den Behörden in Konflikt. Sein Erscheinen, oft bekleidet mit einem knielangen Wollhemd, selbst im Winter barfuß, sorgte für Aufsehen, doch auch seine Vorträgen, die er über gesunde Lebensweise hielt. Schon immer für die Behörden ein Ärgernis, wurde er zu Beginn des Dritten Reiches von seiner dritten Frau denunziert und nach Dachau und später in die Irrenanstalt Uchtspringe eingeliefert. Nach Kriegsende entlassen, konnte er noch einmal zur "Königskrönung" auf sein Grundstück einladen, bevor ihn die Behörden der DDR wieder nach Uchtspringe brachten. Dort starb Gustaf Adolf Nagel am 15.Februar 1952 [...] [ARD, 08. 05. 2004] | ||
Nach der Wende dauerte es lange, bis sich die Stadt dem Wanderprediger und Gesundheitsapostel näherte. Der verfallene Tempelbau wird saniert, die Phallussäulen, die Nagel als Symbole der Fruchtbarkeit errichtet hatte, werden konserviert. Grünflächen kommen dazu. Tafeln informieren über das Leben des Mannes, der vor allem in den 20-er Jahren die Leute zu Tausenden nach Arendsee lockte. | ||
Das Hippie-Areal verlassend, wanderten wir weiter am Seeufer entlang. Nach kurzem Halt an einer freien Stelle des Sees ging es kurz bergauf und anschließend wieder bergab zum Heimatmuseum. Wer die Gruppe auf diesem Weg verließ, konnte einen interessanten Blick auf einen frei stehenden Glockenturm werfen und erfuhr, dass Fontane schon vor uns in Arendsee war. |
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Nun wussten wir, was Martin mit seiner 2. Andeutung (Hier lernen wir was über die ordnungsgemäße Verfugung von Backstei- nen und warum Stille angenehm und Voraussetzung für Geistlichkeit ist.) meinte, denn Frau Gröde zeigte uns während einer interessanten Führung die erhaltenen Reste des Benediktiner-Nonnenklosters. Sie begann die gemeinsame "Reise" vor dem Südportal des Querschiffes der Kiche. |
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Viel wäre noch über die Klostergeschichte zu erzählen, doch nach einer kleinen Stärkung ging es am Seeufer weiter der Sonne entgegen. Inzwischen wussten wir nicht nur, dass der Arendsee der größte natürliche See in Sachsen-Anhalt und einer der tiefsten Seen Norddeutschlands ist, sondern auch die Entstehungsgeschichte als Einbruchsee über einem Salzdom war uns bekannt. Gerlind beeindruckten vor allem Sagen vom Versinken der Windmühle im Arendsee, die im Kloster anders beschrieben stand: "Es lebte einmal ein Müller namens Arend mit seiner Gattin in der Mühle am Ufer. Er malte das Korn und war beliebt bei Alt und Jung, stand mit Rat und Tat zur Seite. Eines Tages türmten sich die Wolken, Donner grollte und schwarz war das Wasser. | ||
Da kam ein Knabe gelaufen und sprach: »Eilt Herr Arend, im Dorf braucht man Ihre Hilfe.« Er verlässt seine Mühle und seine Frau eilt ihm hinterher. Krächzend stürzt in dem Moment seine Mühle in den tiefen Wasserschlund. Des Müllers Frau ruft: »Arend seh!« Der Knabe jedoch war verschwunden." - und der Ort hat seinen Namen. | ||
Der nächste Halt war vor allem einem Findling mit rätselhafter Inschrift geschuldet. Zur Aufklärung: Findlinge im mittel- und norddeutschen Raum begannen ihre eiszeit- liche Irrreise von Skandinavien aus. Auch die Urmeerbeziehung ist recht fragwürdig. Überrascht waren wir vom Fakt, wieder mal im ehemaligen Sperrgebiet zu wandern. |
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